Die Welt der Hebelwirkung
Die globale Pandemie beschleunigte nicht nur die wachsende Kluft zwischen starken und schwachen Industrien oder die Entwicklung von E-Commerce- und IT-Giganten, sondern führte auch zu einem gewaltigen Sprung in der Verschuldung von Staat und Unternehmen. Die globale Gesamtverschuldung erreichte im 1. Quartal 2020 einen neuen Rekord von 331% des BIP seit Ende 2019, was in erster Linie auf die zunehmende Verschuldung der entwickelten Märkte zurückzuführen ist. Spitzenreiter in Sachen Staatsverschuldung blieb in den letzten 30 Jahren derselbe – Japan – mit einer Staatsverschuldung von 236% des BIP, gefolgt von Griechenland mit einem Verschuldungsgrad von 180% des BIP. Für Japan handelt es sich dabei im Grunde um eine Altschuld aus der Asienkrise der 1990er Jahre, die nie getilgt wurde; zudem wurde sie im Zuge des weltweiten Trends wachsender Staatsschulden weiter erhöht.
Auf der Unternehmensebene sieht die Lage jedoch ganz anders aus, und hier kann man japanische Unternehmen loben. Seit dem Höchststand im Jahr 2009 ist die Verschuldung der Unternehmen gegenüber dem BIP in Japan um 7% gesunken, während sie in den USA um 1,5% und in Europa um 5% gestiegen ist.
Der erfolgreiche Schuldenabbau japanischer Unternehmen nach der Finanzkrise war einer der Gründe dafür, dass mehr japanische Firmen in unsere globalen Top 100 aufsteigen (8% im Jahr 2014, 18% im Jahr 2019 und 13% im Jahr 2020), während ihr Anteil am Weltaktienindex stabil bleibt.
Abb. 1: Anteil japanischer Unternehmen am MSCI World AC und an den 100 weltweit besten Unternehmen nach der Methode des Excellence-Awards (%)
Quelle: MSCI, Hérens Quality Asset Management
Dies ist ziemlich überraschend, wenn man bedenkt, dass japanische Unternehmen schon immer hoch verschuldet waren und eine geringe Rentabilität aufwiesen. Dies war auch der Grund, warum wir historisch gesehen einige Auswahlkriterien für den japanischen Markt im Vergleich zu den US-amerikanischen und europäischen Aktienuniversen aufweichen mussten, einfach um genügend Unternehmen auf unserem Investitionsradar zu haben. Tatsächlich gelang es vielen bekannten japanischen Unternehmen wie Toyota oder Shiseido, ihre Finanzlage durch den Abbau der Verschuldung zu verbessern und gleichzeitig die Kapitalrentabilität zu erhöhen, wodurch sie für an Qualität glaubende Anleger attraktiver wurden.
Momentum bei den Fundamentaldaten der Unternehmen
Es scheint, dass es bei den Finanzen japanischer Unternehmen eine wahre Revolution gegeben hat, denn im Grunde stehen sie heute viel besser da als noch vor einigen Jahren. Während sich die Qualität der Finanzwerte US-amerikanischer und europäischer Unternehmen in letzter Zeit verschlechtert hat, begannen die japanischen Unternehmen, die immer im Rückstand waren, aufzuholen. Die Eigenkapitalrendite ist gestiegen, was hauptsächlich auf höhere Margen zurückzuführen ist, im Gegensatz zu den USA, wo die Verbesserung in erster Linie auf eine höhere Verschuldung zurückzuführen ist. Entgegen den globalen Trends gelang es japanischen Unternehmen, ihre Schuldenlast zu reduzieren, und jetzt sehen sie finanziell viel stabiler aus als ihre Konkurrenten in den USA oder Europa. Obwohl sie bei der Kapitalrentabilität und den Margen immer noch hinterherhinken, hat sich der Abstand erheblich verringert. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, könnten sie ihre weltweiten Konkurrenten auch in diesem Bereich bald überholen.
Abb. 2: US-amerikanische, europäische und japanische absolute Fundamentalkennzahlen (rechts) und ihre Dynamik (links), MSCI (2013-2020)
Quelle: Hérens Quality Asset Management, Thomson Reuters
Eine der Hypothesen, die zur Erklärung dieses Phänomens vorgebracht werden kann, ist, dass die Unternehmen in Japan ihre Investitionen in Anlagevermögen, die normalerweise weniger produktiv sind, reduzieren. Gleichzeitig gibt es einen wachsenden Anteil immaterieller Vermögenswerte, die ein Indikator für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sind. Ein weiterer zu erwähnender Punkt ist die letztendliche Verbesserung des Corporate Governance-Systems, das in Japan schon immer sehr traditionell war und dadurch die Entwicklung der Unternehmen negativ beeinflusst hat. So stieg beispielsweise “der Prozentsatz der börsennotierten Unternehmen, die mehr als ein unabhängiges Aufsichtsratmitglied ernannten, von 21,5% im Jahr 2014 auf 93,4% im Jahr 2019’2.
Fundamentaldaten der Unternehmen und Aktienperformance
Der japanische Markt mit seinen relativ niedrigen Multiples weist im Vergleich zu den US-amerikanischen oder europäischen Aktienmärkten einen deutlicheren Value-Bias auf. Dies könnte zu einem Hindernis bei der Anziehung internationaler Investoren werden, wenn die Mehrheit Wachstumswerte bevorzugt, insbesondere im IT-Sektor. Es stimmt, dass Japan eine grosse Anzahl reifer Unternehmen hervorgebracht hat, was dem Land einen weiteren Meistertitel beschert hat: mehr als die Hälfte der bekannten Unternehmen,die älter als 200 Jahre, sind stammen aus Japan3, was ein weiterer Indikator für nachhaltige Qualität ist. Aber auch reife Unternehmen erfinden sich neu, um weiterhin für Wachstum zu sorgen, wie einst Nintendo, das sich vom einfachen Spielkartenverkäufer zum Videospielunternehmen entwickelte.
Abb. 3: Japanische Aktien (Nikkei 225) vs. US-amerikanische (S&P 500) und europäische (Stoxx 600) Performance
Quelle: Hérens Quality Asset Management, Thomson Reuters
Die obige Grafik zeigt, dass japanische Unternehmen zwar vor US-Aktien kapitulierten mussten, sie aber in der Zeit, in der sich die Fundamentaldaten der Unternehmen erheblich verbesserten, eine bessere Performance erzielten als die europäischen. Der Fokus auf Qualitätsunternehmen durch die Anwendung von strengen Selektionskriterien kann zu einer Outperformance des Marktes führen, was sich besonders gut bei den Qualitätsaktien in Japan zeigte, denen es auch gelang, den Markt während des COVID Ausverkaufs zu übertreffen.
Referenzen:
- Institute of international Finance (2020). Sharp spike in global debt ratios.
- Responsible investor (2020). Corporate governance reform in Japan: the second revision of the Stewardship Code.
- BBC (2020). Why so many of the world’s oldest companies are in Japan.