Seit dem Coronaausverkauf im März 2020 sind die Kurse weltweit viel schneller gestiegen als die Unternehmensgewinne. Das bringt besonders die Börsen der Schwellenländer, Japans und Europas unter Rechtfertigungsdruck.
Die Börsen kennen kein Halten. Seit dem Coronaausverkauf im März 2020 hat der Weltaktienmarkt fast 90% zugelegt. Indizes wie der S&P 500, der Dax oder der SMI eilen von einem Höchst zum nächsten.
Werden die jüngsten Unternehmensergebnisse betrachtet, scheint der Optimismus durchaus angebracht. Weltweit heben die Gesellschaften die Prognosen an. Allein in der Schweiz geschieht das fast täglich. Die jüngsten Beispiele sind Belimo, Bossard, SFS, Sulzer, Leonteq, Cicor, Swissquote oder zuletzt Bobst.
Gute Ergebnisse sind allerdings auch dringend nötig, wie eine Analyse des Schweizer Vermögensverwalters Hérens Quality Asset Management (HQAM) zeigt, die den Gesamtertrag verschiedener internationaler Aktienmärkte in die Teilkomponenten zerlegt.
So sind die Kurse weltweit stärker in die Höhe geschossen als die Gewinne. Dadurch sind die Bewertungen und damit die Erwartungen gestiegen, es hat sich also eine Erwartungsprämie aufgebaut, wie die untenstehenden Grafiken zeigen. In den Schwellenländern, Japan und Europa eilen die Kurse den Gewinnen besonders weit voraus.
Die USA weisen das höchste Gewinnwachstum auf
Die Regionen unterscheiden sich jedoch auch bezüglich Gewinnwachstum. So sind die USA der einzige Markt, in dem der Umsatz auch während der Pandemie nie geschrumpft ist (in der Grafik ist der Umsatz blau markiert), und jüngst macht sich der kräftige Aufschwung der US-Wirtschaft in einer Zunahme des Wachstums bemerkbar.
So ist der Umsatz per Ende Mai im Vergleich zum Vorjahr fast 12% gestiegen. Dazu kommt die Ausweitung der Marge um 5% (gelb). Weniger ins Gewicht fällt die Gewinnverdichtung über die Verkürzung der Bilanz, die nicht ganz 4% zum Gewinnwachstum beigesteuert hat (rot):
In den USA steigen die Gewinne deutlich
Grafik: themarket.ch | Quelle: HQAM | Erstellt mit Datawrapper
«An der US-Börse sind viele Qualitätsunternehmen vertreten, die Umsatz und Marge in schwierigen Zeiten nicht nur halten, sondern sogar steigern können», sagt Diego Föllmi von HQAM. Dazu zählen allen voran die Tech-Titanen. «Für uns zeigt das gute Abschneiden die strukturelle Überlegenheit der USA.» Die Erwartungsprämie ist 21% gestiegen. Das ist im Vergleich zu den anderen analysierten Märkten wenig.
Schweizer Börse mit niedrigster Erwartungsprämie
Noch besser als US- schneiden bezüglich Marge und Erwartungsprämie Schweizer Unternehmen ab. Ihnen ist es trotz deutlichem Umsatzrückgang gelungen, die Marge um 6% auszuweiten, was für eine hohe Flexibilität und eine rigorose Kostenkontrolle spricht. Und nun dürften sie von der Normalisierung des Wachstums profitieren, die für eine markante Gewinnerholung sorgen wird.
Schweizer Unternehmen können Marge trotz Umsatzrückgang ausweiten
Grafik: themarket.ch | Quelle: HQAM | Erstellt mit Datawrapper
Dazu kommt, dass die Erwartungsprämie «nur» 15% gestiegen ist (violett). Das ist die geringste Zunahme aller betrachteten Regionen. Es ist deshalb wahrscheinlich, dass der jüngste Ausbruch des SMI nachhaltig ist.
In Europa wird die Wiedereröffnung allmählich spürbar
Auch Firmen aus Europa und den Schwellenländern konnten die Marge ausweiten. Dafür dürfte der hohe Anteil an Rohstoff- und Energiewerten verantwortlich sein, die vom starken Anstieg der Commodity-Preise profitiert haben. Und nun zeichnet sich für den breiten europäischen Markt eine Erholung des Umsatzwachstums ab, wie die Entwicklung der letzten Monate nahelegt. «Die Wiedereröffnung der Wirtschaft macht sich auch in Europa bemerkbar», sagt Föllmi.
Wiedereröffnung macht sich in Europa bemerkbar
Grafik: themarket.ch | Quelle: HQAM | Erstellt mit Datawrapper
In beiden Regionen trägt die Verkürzung der Bilanz wesentlich zum Gewinnwachstum bei. Und in beiden ist die Erwartungsprämie deutlich gestiegen – in den Schwellenländern um 50%, in Europa um 28%. Der Druck auf die Unternehmen, die Erwartungen zu übertreffen, ist hier also besonders gross.
Schwellenländer mit höchster Erwartungsprämie
Grafik: themarket.ch | Quelle: HQAM | Erstellt mit Datawrapper
Japanische Unternehmen können Marge nicht halten
Das Gleiche gilt für Japan, wo die Erwartungsprämie 30% in die Höhe geschossen ist. Nicht geholfen haben die Margen, die in Japan als einziger Region rückläufig waren. Das ist insofern erstaunlich, als Japans Gesellschaften in den letzten Jahren viel unternommen haben, um rentabler, profitabler und weniger zyklisch zu werden.
In Japan schrumpft die Marge
Grafik: themarket.ch | Quelle: HQAM | Erstellt mit Datawrapper
«Dafür verantwortlich ist auch die spezielle Konstruktion des Nikkei 225», erklärt Föllmi. Das japanische Leitbarometer ist wie der Dow Jones Industrial ein preisgewichteter Index, in dem Aktien mit hohem Kurs ein höheres Gewicht erhalten. So dominiert der Kleiderdetailhändler Fast Retailing, zu dem Uniqlo gehört, mit einem Anteil von rund 10%. Er wurde von den weltweiten Lockdowns hart getroffen und musste eine deutliche Umsatz- und Gewinneinbusse hinnehmen.
Qualität zahlt sich gerade in schwierigen Zeiten aus
Für Föllmi lassen sich aus der Analyse zwei Schlussfolgerungen ziehen. «Einmal mehr zeigt sich, dass sich der Fokus auf Qualitätsfirmen gerade in schwierigen Zeiten besonders auszahlt, wie sich am guten Leistungsausweis der USUnternehmen ablesen lässt.» Skeptisch ist er gegenüber Zyklikern, die sehr gut gelaufen sind. «Bei vielen eilen die Kurse den Fundamentaldaten voraus.» Hier ist der Erwartungsdruck und damit das Enttäuschungspotenzial besonders gross. Die Unternehmen werden ihre Prognosen also weiter anheben müssen, um den Kursauftrieb aufrechtzuerhalten. Gelingt das nicht, dürfte sich der Anlegerfokus von zyklischen Namen auf defensive Wachstumswerte wie Nestlé und Roche oder die US-Tech-Giganten verlagern. Dafür sprechen nicht zuletzt die Zeichen, dass das globale Wachstum den Höhepunkt überschritten haben könnte.
Gregor Mast
The Market | 22.06.2021.
https://themarket.ch/analyse/unternehmen-muessen-liefern-ld.4526