Poker und hochwertige Unternehmen
Ist Ihnen aufgefallen, dass wir nicht mehr so oft den Ausdruck “Blue-Chip” hören? Diese Tatsache widerspiegelt sich auch in Google-Trends Dynamiken, die zeigen, dass die Suchhäufigkeit seit 2004 um das Zweifache zurückgegangen ist, mit seltenen Spitzenwerten während der Krisen. Es scheint also, dass “Blue Chips” – ein Begriff, der einst aus dem Pokerspiel übernommen wurde, mit Blue Chips als wertvollste Chips – bald Geschichte sein werden, da Large Cap Indizes wie der S&P 500 oder der DJIA nicht mehr als solche bezeichnet werden. Die Corona-Krise hat diesem Thema wirklich eine neue Dimension verliehen, indem sie die Kluft zwischen gut und schlecht, zwischen Wachstum und Abstieg vergrössert hat.
In diesem Artikel erläutern wir, dass man Blue-Chip- und Qualitätsaktien nicht gleichsetzen kann, trotz der bekannten Definition der ersteren. Laut Cambridge Lexikon und Merriam-Webster Lexikon werden Blue-Chip-Aktien von “grossen und erfolgreichen Unternehmen” oder von “gut etablierten Unternehmen, die das Vertrauen der Öffentlichkeit in ihren Wert und ihre Stabilität genießen” ausgegeben und gelten allgemein als eine gute Investition. Aber ist das wirklich so? Angesichts des jüngsten Bilanzskandals und anschliessenden Konkurses von Wirecard, einem Mitgliedsunternehmen des deutschen Blue Chip Index DAX, stellen sich Fragen zur Qualität der Indexkonstituenten.
Kluft zwischen Blue Chips und Qualitätsaktien
Es besteht ein offensichtlicher Unterschied zwischen den Finanzkennzahlen von Qualitätsunternehmen, DIJA-Komponenten und insbesondere dem breiten S&P 500-Index. Die Lorbeeren im Hinblick auf finanzielle Robustheit, die durch die Eigenkapitalquote und den Altman-Z-Score bestimmt wird, gehen zweifellos an die Qualitätsaktien. Betrachtet man die Mindestniveaus, so stellt man fest, dass im Gegensatz zum Universum der Qualitätsaktien die Auswahl innerhalb des DJIA und des S&P nicht homogen ist – es sind Unternehmen mit sehr schlechten und sehr gesunden Bilanzen enthalten. So lässt sich die sehr schlechte Qualität der Finanzlage durch eine einfache Tatsache belegen: 99 der 500 grössten US-Unternehmen haben einen Altman Z-Score unter 1,8, was bedeutet, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb der nächsten zwei Jahre in Konkurs gehen werden.
Abb. 1: Wichtige Finanzkennzahlen von Quality Stocks vs. US Blue Chip Indizes
| Quality | S&P 500 | DJIA |
Equity ratio | 44.53% | 33.50% | 31.25% |
Equity ratio min | 20.9% | -282% | -18% |
Altman Z | 4.96 | 3.40 | 4.08 |
Altman Z min | 2.18 | -6.14 | 1.73 |
ROE | 21.15% | 13.10% | 28.29% |
ROE min | 7.50% | -206.60% | -6.04% |
Quelle: Hérens Quality Asset Management, Thomson Reuters
Die im DJIA enthaltenen Unternehmen weisen im Vergleich zur Eigenkapitalrentabilität der Qualitätsaktien eine höhere mittlere Eigenkapitalrentabilität auf. Betrachtet man jedoch den Abstand zwischen den guten und den schlechtesten im DJIA enthaltenen Unternehmen, so zeigt sich, dass das Risiko massiv zunimmt, ein wirklich schlechtes Unternehmen im Portfolio zu haben, wenn man in Blue-Chip-Indizes investiert. Ein Beispiel dafür ist Dow, das 2019 einen Verlust verzeichnete, dessen Umsätze rückläufig sind und dessen Eigenkapital nur ein Fünftel des Gesamtvermögens ausmacht. Oder IBM, das acht Jahre in Folge Umsatzeinbussen hinnehmen musste.
Ein ähnliches Bild ist auch in Europa zu beobachten, wo wir den breiten Stoxx 600 und den konzentrierten Stoxx 50-Aktienindex gewählt haben. Interessanterweise hat ein fokussierter Index mit den grössten Unternehmen als Konstituenten eine noch geringere Qualität im Hinblick auf die Finanzkennzahlen als der breite Index. Und sicherlich liegen sie deutlich hinter den Niveaus der klassischen Qualitätsaktien zurück.
Abb. 2: Wichtige Finanzkennzahlen von Quality Stocks vs. europäische Blue Chip Indizes
Quality | Stoxx 600 | Stoxx 50 | |
Equity ratio | 52.11% | 34.50% | 27.20% |
Equity ratio min | 14.70% | -42.30% | 4.70% |
Altman Z | 4.40 | 2.31 | 1.93 |
Altman Z min | 1.79 | -0.43 | -0.43 |
ROE | 15.79% | 7.93% | 7.49% |
ROE min | 7.22% | -349% | -22.83% |
Source: Hérens Quality Asset Management, Thomson Reuters
Best-in-class ist nicht die beste Strategie
Abgesehen von einigen einzelnen Unternehmen im Index, deren Qualität fragwürdig ist, gibt es ganze Industriezweige, die Schwierigkeiten haben, langfristig gute Ergebnisse vorzuweisen. Vergleichen Sie die Kennzahlen der Vertreter der Finanz- und Energiebranche mit dem Gesamtmarkt (Abb.3). Beide Branchen weisen im Median wesentlich niedrigere ROE-Werte auf. Auch der Altman-Z-Score zieht das Durchschnittsniveau nach unten. Natürlich wurden Energieunternehmen in diesem Jahr hart getroffen, aber auch vor Beginn der Krise konnten sie in Bezug auf Rentabilität oder Bilanzstärke nicht als Vorbilder angesehen werden.
Abb. 3: Wichtige Finanzkennzahlen von Finanz- und Energie-Unternehmen
S&P 500 | MSCI Financials | MSCI Energy | |
Equity ratio | 33.50% | 12.64% | 46.15% |
Altman Z | 3.40 | 2.32 | 1.99 |
ROE | 13.10% | 9.44% | -22.44% |
Quelle: Hérens Quality Asset Management, Thomson Reuters
Diese fundamentalen Eigenschaften schlagen sich früher oder später auch in der Performance nieder. Das bekannte Schaubild, das die Gewichtung der Branchen im Benchmark zeigt (Abb. 4), ist ein hervorragendes Beispiel für die strukturelle Verschiebung des Qualitätsstatus der Branchen. Vor einem Jahrzehnt hatten Energieunternehmen im MSCI Welt noch ein Gewicht von 10%, heute sind es nur noch 2,6%. Auf der Liste der Verlierer finden sich nach dem Energiesektor der Sektor Materials auf Platz 2, gefolgt vom Finanzsektor an dritter Stelle.
Abb. 4: Sektorgewichtungen im MSCI World, 2010-2020
Quelle: Hérens Quality Asset Management, MSCI
Wenn ein Best-in-class-Ansatz (in die jeweils führenden Unternehmen einer Branche zu investieren) im Mittelpunkt der Investmentphilosophie steht, sind Enttäuschungen mehr oder weniger vorprogrammiert, wenn einzelne Branchen an Attraktivität verlieren, wie beispielsweise einst die Textilindustrie in Europa im 20. Jahrhundert.
Aktiv vs. Passiv
In den letzten zehn Jahren haben viele Anleger ihre Anlagestrategien zugunsten indexierter Strategien überdacht und so für Billionen von Neugeldzuflüssen in ETFs gesorgt. Die Analyse zeigt jedoch, dass man, wenn man in den breiten Markt investiert, gleichzeitig sein Geld auch in sich verschlechternde Unternehmen und Branchen investiert, die die Performance belasten. Large-Cap-Indizes können einfach nicht als Blue-Chip-Indizes bezeichnet werden, da sie nicht für Qualität stehen. Neben qualitativ hochwertigen Aktien, die für ihre Aktionäre einen erheblichen Wert generieren, investieren sie auch in Unternehmen von miserabler Qualität. Und in den meisten Fällen wird die Performance des gesamten Index von wenigen Gewinnern wie Apple oder Microsoft getrieben, die zusammen 15% zum Anstieg des S&P 500 im Jahr 2019 beigetragen haben. Warum sollte man sich also nicht auf diejenigen konzentrieren, die, unterstützt durch sehr gute Finanzzahlen, nachhaltig hohe Renditen bieten.