Anlegern fällt die Orientierung wegen des Coronavirus gegenwärtig schwer. Dennoch gibt es Gesellschaften, die erstaunlich viel Visibilität bieten.
Michael Griesdorf
Wer sein Geld derzeit in Aktien investiert, darf kein auf Sicherheit bedachter Mensch sein. Die meisten Unternehmen fahren wegen der Coronaviruspandemie auf Sicht. Das macht es äusserst schwierig, den Gewinn zu prognostizieren. Reihenweise verzichten die kotierten Gesellschaften auf einen quantitativen Ausblick für das laufende und das kommende Jahr. Auch die Halbjahreszahlen werden den Nebel kaum lichten.
Nicht überall ist die Sicht in die Ferne jedoch versperrt: Bei Unternehmen, die ihre Kunden binden können und Güter anbieten, die regelmässig konsumiert werden müssen, ist die Visibilität trotz Coronavirus weiterhin hoch. Mit Investitionen in Gesellschaften mit diesem Konzept – auch bekannt als HP-Modell, weil der Druckerhersteller mehr Geld mit den regelmässig zu wechselnden Farbpatronen als mit den Druckern verdient – können Anleger also weiterhin relativ ruhig schlafen.
The Market hat mit verschiedenen Analysten und Investoren gesprochen, um in der Schweiz Gesellschaften mit einem solchen Geschäftsmodell zu identifizieren.
SIG Combibloc kann auf die Abnehmer zählen
Am nächsten kommt dem HP-Modell SIG Combibloc. Sie ist nach Tetra Pak die zweitgrösste Herstellerin von Abfüllanlagen für die Getränke- und die Lebensmittelindustrie. Die Maschinen sind jedoch nur Mittel zum Zweck. Den allergrössten Teil des Geldes verdient SIG mit den dafür benötigten sterilen Kartonverpackungen, deren Anteil am Gesamtumsatz hohe 87% ausmacht. Weitere 7% des Erlöses stammen aus Servicearbeiten an den Maschinen.
Umsatzaufteilung SIG Combibloc 2019
Von Nutzen ist auch, dass die Kundschaft von SIG Combibloc in einem relativ konjunkturresistenten Geschäft operiert. Es erstaunt deshalb nicht, dass die Gesellschaft trotz Coronaviruspandemie im Mai ihre Zielvorgabe von Anfang Jahr zumindest am unteren Ende der Bandbreite bestätigt hat.
SoftwareOne profitiert von der Marktstellung von Office365
Auch SoftwareOne gilt als Unternehmen mit einem ausgesprochen prognostizierbaren Geschäftsmodell. Sie verkauft und verwaltet Softwarelizenzen an und für Unternehmen. Rund 54% des Bruttogewinns erzielte sie letztes Jahr mit Produkten von Microsoft wie Office365 und den Azure-Cloud-Lösungen.
Ist die Software erst einmal abonniert bzw. implementiert, wechseln die Kunden die Produkte bzw. die Plattform, auf der die Lizenzen verwaltet werden, meist nicht mehr. Die Erneuerungsrate beträgt 100%. Abgesehen davon sind die Office-Lösungen von Microsoft in der Geschäftswelt praktisch überall ein «Must Have», und die Coronakrise hat den Bedarf an Software aus der Cloud noch verstärkt.
Neueste Vorkommnisse lassen zwar die Befürchtung aufkommen, dass das erste Semester schlechter ausfällt als erwartet. Einzelne Grossaktionäre haben letzten Freitag und damit kurz vor Ende des ersten Halbjahres kräftig Aktien abgestossen. Anlässlich der Jahreszahlen im März gab sich CEO Dieter Schlosser bezüglich der Auswirkungen der Coronaviruspandemie auf SoftwareOne aber zumindest sehr entspannt.
Temenos Produkte wechselt man nicht so rasch
Ein weiteres Unternehmen aus dem IT-Sektor mit gut vorhersehbarem Geschäftsmodell ist Temenos. Rund 62% des Umsatzes des Anbieters von Bankensoftware entfielen letztes Jahr auf wiederkehrenden Ertrag. Davon kommen derzeit rund 90% aus Service- und Wartungsverträgen, die bei den Banken mit Temenos-Software per annum anfallen.
Das Verhältnis soll sich jedoch zugunsten des Geschäfts mit jährlich zu erneuernden Lizenzen (Abonnementen) verschieben. Ausserdem sind die Produkte von Temenos trotz aller Vorteile relativ komplex. Sind sie einmal in die ITInfrastruktur der Bank implementiert, sind die Wechselkosten hoch.
Schindler verdient 50% ihres Geldes mit dem Service
Auch Schindler gilt als Musterbeispiel eines Unternehmens mit wiederkehrendem Ertrag. Die Lift- und Rolltreppenproduzentin verdient gemäss Schätzung von ZKB-Analyst Martin Hüsler rund die Hälfte ihres Umsatzes mit Unterhalts- und Servicearbeiten. Genaue Zahlen gibt sie auch auf Nachfrage keine bekannt.
Einmal eingebaut, sind die Lifte und die Rolltreppen nur mit sehr hohem finanziellen Aufwand zu ersetzen. Je grösser die installierte Basis, desto höher ist auch der Erlös aus dem regelmässig anfallenden Service.
Produkte von Burckhardt Compression sind für die Ewigkeit
Ähnlich funktioniert das Geschäft von Burckhardt Compression. Die Servicesparte des Herstellers von Kolbenkompressoren für die Öl- und Gasindustrie steuert rund 38% zum Umsatz bei. Seine Erzeugnisse haben eine Lebensdauer von bis zu fünfzig Jahren. Auch hier zahlt sich eine grosse installierte Basis aus.
Regulator hilft Pharmazulieferern
Nicht zu vernachlässigen ist das Geschäftsmodell der Pharmazulieferer Lonza, Siegfried und Bachem. Sie gehen mit ihren Kunden langjährige Partnerschaften ein, denn bei Zulassung eines Medikaments müssen die Arzneimittelhersteller auch ihre Produktionsstätten von den Zulassungsbehörden zertifizieren lassen.
Der Wechsel zu einem anderen Fabrikanten würde hohe Kosten verursachen. Ohne triftigen Grund wird die Klientel deshalb keinen solchen vollziehen.
Kunden von Partners Group sind auf viele Jahre gebunden
Partners Group bietet zwar eine nicht ganz so gute Visibilität wie die vorab erwähnten Unternehmen. Dennoch gilt es auch den Anbieter von Investmentlösungen im Bereich Private Equity zu erwähnen, denn er kauft für Dritte vergleichsweise illiquide Vermögenswerte. Teilweise sind die Kunden zehn bis zwölf Jahre investiert oder gehen zumindest eine relativ lange Mandatsbeziehung mit dem Vermögensverwalter ein.
Rund 74% der verwalteten Vermögen kamen Ende 2019 von langfristig gebundenen Kunden, die jährlich Verwaltungsgebühren zu einem fixen Prozentsatz ihres Vermögens entrichten. Rund 71% des gesamten Umsatzes erzielte Partners Group letztes Jahr mit solchen Pauschalen. Der Rest kam von performanceabhängigen Leistungen.
Speziell an Partners Group ist jedoch, dass Aktien und Kreditpapiere schwanken können. Die «installierte Basis» kann anders als bei den oben genannten Unternehmen also rasch grösser oder kleiner werden. Sinkt wegen allfälliger Marktverwerfungen der Wert der verwalteten Vermögen, verringert sich nominal auch die Managementgebühr.
Management darf nicht träge werden
Nicht alle Gesellschaften mit wiederkehrenden Geschäften sind somit vor jeglichen Eventualitäten gefeit. So konnten viele Industrieunternehmen wegen der Reisebeschränkungen in den letzten Monaten ihre Servicetechniker nicht zu den Kunden schicken. Zudem standen viele Maschinen still, weshalb auch keine Wartung nötig war.
Mit den Lockerungen dürfte der Bedarf an Servicetechnikern jedoch wieder zunehmen. «Das Servicegeschäft bietet Potenzial, den im Lockdown verloren gegangenen Umsatz mit Neumaschinen teilweise rasch etwas aufzuholen», sagt ZKB-Analyst Armin Rechberger.
Trotz allen Vorteilen: Wiederkehrender Ertrag birgt auch Gefahren – zumindest auf die lange Frist. Diego Föllmi, Partner des Schweizer Vermögensverwalters Hérens Quality Asset Management, gibt zu bedenken: «So schön sich der hohe Umsatzanteil des wiederkehrenden Geschäfts anhört, er sollte nicht träge machen. Die installierte Basis kann bei zu wenig Effort in der Forschung und Entwicklung über die Zeit auch bröckeln.»
Schindler, Lonza, Bachem und Temenos überzeugen
Von den vorab erwähnten Unternehmen überzeugen vor allem Schindler, Lonza, Bachem und Temenos. Sie alle verfügen nicht nur über ein gut prognostizierbares Geschäft. Auch die Qualität stimmt.
Die Rendite auf dem investierten Kapital ist bei allen höher oder gleich 8%. Ausserdem liegt sie basierend auf Daten, die über den letzten Konjunkturzyklus reichen (fünfzehn Jahre), über dem Durchschnitt.
Weitere Qualitätsmerkmale – wie eine mindestens durchschnittliche Bilanz (Verhältnis Nettoschulden zu Ebitda nicht über 3), eine nachhaltige Dividendenpolitik (Dividende pro Aktie oder kurz DPA aktuell über Durchschnitt) sowie einen steigenden Buchwert pro Aktie (BPA derzeit über Durchschnitt) – erfüllen die vier Gesellschaften ebenfalls.
Qualitätsmerkmale der im Text erwähnten Unternehmen
Der einzige Wermutstropfen ist, dass die Aktien dieser Gesellschaften gemessen an der Prämie der gängigen Bewertungskennzahlen relativ zum Markt allesamt nicht mehr günstig sind.
Bei allen liegt sie über dem Fünfjahresdurchschnitt. Etwas mutigere Anleger fassen deshalb Burckhardt Compression ins Auge. Das Unternehmen spielt qualitativ zwar nicht in der ersten Liga. Auf dem gegenwärtigen Kursniveau erscheinen die Valoren aber attraktiv.
Bewertung der im Text erwähnten Unternehmen
Auf die Beobachtungsliste gehören zudem SIG Combibloc. Die Gesellschaft verfügt über ein äusserst stabiles Geschäft, ist für eine verlässliche Aussage zur Qualität jedoch noch zu wenig lange an der Börse. Der Börsengang fand 2018 statt. Ausserdem sind auch ihre Titel nicht mehr günstig.