Waren wir schon einmal hier?
Bei der Diskussion über den anhaltenden Ausverkauf des IT-Sektors in den Vereinigten Staaten suchen die Marktteilnehmer nach historischen Parallelen, um das aktuelle Umfeld zu verstehen. Die Geschichte ist aber nie dieselbe, sie ähnelt nur. So verglichen einige Experten die Ereignisse seit Anfang 2022 mit denen der frühen 2000er Jahre (bekannt als Dotcom-Blase) vor allem aufgrund der Ähnlichkeit in Bezug auf überhöhte Bewertungen, steigende Zinsen und Übertreibungen in verschiedenen Anlageklassen wie Immobilien oder ausserbörsliche Unternehmensbeteiligungen.
Die Blase der 2000er Jahre wurde durch ein Umfeld niedriger Leitzinsen (1998-1999) ausgelöst, das ein Überangebot an billigem Kapital für aufstrebende Internetunternehmen ermöglichte. Sobald jedoch die Finanzierung versiegte, brachen viele dieser Unternehmen zusammen und rissen den gesamten Markt mit sich. Zwischen 1995 und dem Höchststand im Jahr 2000 stieg der Nasdaq Composite Index um 400 %, um dann bis Oktober 2002 um 78 % zu fallen.
Diesmal waren die Bewertungen ebenfalls überzogen, die Zinssätze lagen ebenfalls nahe Null und die Federal Reserve versorgte den Markt mit Rekordliquidität. Darüber hinaus beschleunigte die COVID-Pandemie den technologischen Wandel und ermöglichte es den Tech-Aktien das Wachstum zu forcieren, was sich in steigenden Aktienkursen niederschlug. Die Erhöhung des Leitzinssatzes um 150 Basispunkte hat sowohl den Markt als auch den Technologiesektor in der ersten Jahreshälfte 2022 in eine Abwärtsspirale geschickt, wobei der technologielastige Nasdaq Composite 29,2 % per Ende Juni 2022 verlor.
Abb. 1: Entwicklung des Nasdaq Composite Index – 1 Jahr vor und nach dem Höchststand (Februar 2000 und Dezember 2021)
Kann es sein, dass die Erholung von den Tiefstständen im März 2020, die schnell erfolgte und weit nach oben ging, tatsächlich eine ähnliche Blase wie im Jahr 2000 geschaffen hat? Wir werfen einen genaueren Blick auf die Unternehmensperspektive und vergleichen den aktuellen und den historischen Zustand des Technologiesektors und versuchen herauszufinden, ob er besser für mögliche zukünftige Marktentwicklungen positioniert ist.
Hat sich der IT-Sektor im Vergleich zum Zeitraum vor zwei Jahrzehnten verbessert?
Während der Dotcom-Blase kam es im Informationstechnologie-Sektor des S&P 500 zu einer drastischen Verschlechterung der Rentabilität, wobei die Eigenkapitalrendite (ROE) des Sektors fast um die Hälfte einbrach (von 22 % im Jahr 1999 auf nur noch 12 % im Jahr 2002), obwohl sich die Gewinnspannen etwas besser hielten.
Abb. 2: Ausgewählte Qualitätsmerkmale des S&P 500-Informationstechnologie-Sektors (Stand: Juli)
Quelle: Hérens Quality AM, Reuters
Gleichzeitig erreichten die Bewertungen des Sektors im Jahr 2000 ihren Höchststand. Betrachtet man jedoch das Forward PE (eine Funktion des aktuellen Kurses im Verhältnis zur Konsensschätzung des zukünftigen Gewinns pro Aktie), so zeigt sich deutlich, dass die markante Aufwertung der IT-Bewertungen angesichts des für die nächste Zukunft erwarteten bescheidenen Wachstums des Sektors nicht gerechtfertigt war und daher zwangsläufig korrigiert werden musste.
Einer der Hauptgründe für den Ausverkauf der Technologiebranche Anfang der 2000er Jahre war es, dass unrentable, hardwarelastige Internetunternehmen zu früh auf den Markt kamen, was dazu führte, dass die Aktien zunächst aufgrund reiner Erwartungen in die Höhe schnellten und dann zusammenbrachen, als sich das Umfeld verschlechterte. Zwei passende Beispiele sind Garden.com, das ein Jahr nach dem Börsengang 40 % seiner Belegschaft abbaute und nach 14 Monaten schliessen musste. Oder der Lebensmittellieferant Webvan, der auf seinem Höhepunkt direkt nach dem Börsengang eine Marktkapitalisierung in Höhe von 1,2 Mrd. Dollar erreichte, um dann zu einem der größten Misserfolge dieser Ära zu werden, als das Unternehmen die Investoren enttäuschte, weil es seine Wachstumsprognosen nicht erfüllte und Mitte 2001 von Amazon übernommen zu wurde.
Übertragen auf die heutige Zeit ergibt sich ein anderes Bild. Die Pandemie hat Technologieunternehmen zwar einen gewissen Rückenwind verschafft, da die Notwendigkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, den Übergang zu hybriden Arbeitsformen erleichterte, aber sie war nur ein zusätzlicher Wachstumstreiber, der zu den bereits vorhandenen langanhaltenden Expansionsfaktoren hinzukam. Die fortschreitende Migration in die Cloud, die Ausweitung des Internets der Dinge (IOT), künstliche Intelligenz und Rechenzentren sind nur einige davon – sie waren schon vor der Pandemie da und sind es auch noch, wenn die Welt Covid-19 (hoffentlich) hinter sich gelassen hat. Einer der Gründe für diese ermutigende Entwicklung sind kontinuierliche Investitionen in Forschung und Entwicklung, welche die Wettbewerbsfähigkeit des Sektors nachhaltig sichern sollen.Mit einem F&E-Anteil am Umsatz von fast 13 % ist dies deutlich mehr als das, wozu Technologieunternehmen vor 20 Jahren in der Lage waren. Der Sektor hat sich auch von Hardware auf Software verlagert und sich damit einen bedeutenden Anteil an widerstandsfähigeren, wiederkehrenden Einnahmen gesichert. Anders als in den 2000er Jahren spiegelt sich dies auch in der zukünftigen Bewertung wider – bei einem aktuellen KGV von 38,6 liegt das zukünftige KGV des Sektors bei 25.3, was ein klares Signal dafür ist, dass der Markt das bevorstehende beträchtliche Gewinnwachstum anerkennt.
Darüber hinaus war die Pandemie aus fundamentaler Sicht für den Sektor in Bezug auf die Renditen kein grosses Hindernis. Tatsächlich hat sich die Eigenkapitalrendite des Sektors im Jahr 2020 auf 28 % verbessert, aber selbst nachdem sich die Situation wieder normalisiert hat, liegt der Indikator zwei Jahre später immer noch deutlich über 20 %. Es stimmt auch, dass Technologieunternehmen heutzutage eher bereit sind, das Niedrigzinsumfeld zu nutzen und Schulden zu machen, um u.a. wertsteigernde Akquisitionen zu tätigen. Dies wirkte sich jedoch nicht wesentlich auf ihre Bilanzstärke aus, da die Eigenkapitalquote für den gesamten Sektor nach wie vor in einem gesunden Bereich von über 40 % liegt.
Sektor Renditen
Wird der Blickwinkel auf die attraktiv bewertete Qualitäts-IT-Firmen fokussiert, ist zu erkennen, dass Quality-IT-Firmen mit einer deutlich höheren Rentabilität und Rendite überzeugen, im Verhältnis zum Eigenkapital praktisch keine Nettoverschuldung haben und tiefere Bewertungskennzahlen als der breitere Sektor des S&P aufweisen. Ausserdem sind die Unternehmen gut finanziert und verfügen über ausreichende Ressourcen, um neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln und damit relevant zu bleiben. Daher sind wir der Meinung, dass führende Technologieunternehmen den anhaltenden makroökonomischen Gegenwind viel besser verkraften können als der breite Markt und der jeweilige Sektor.
Abb. 3: Ausgewählte Merkmale zum 31.07.2022 (Medianmethode)
Quelle: Hérens Quality AM, Reuters
Der Ausverkauf in der ersten Jahreshälfte ähnelt eher einem negativen Stimmungsumschwung, der nicht durch grundsätzlich schlechte Betriebsergebnisse gestützt wird, anders als während der Dotcom-Blase, als der Sektor voller neuer, höchst unrentabler Unternehmen war, die versprachen, „die Welt zu verändern“. Die im Juli stattgefundene Sektor Rotation – mit einem starken Aufschwung im IT-Bereich – ist ein Argument für diese Theorie.